Wednesday, July 27, 2022

Südsee-Trauminsel

 

"Meine Südsee"

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Abgelegene Inseln versprechen vollkommene Muße und Glückseligkeit. Einsame Strände, blauer Horizont, sanfter Passat, der in den Palmen raschelt. Ein paar Bücher vielleicht, frischer Fisch, Kokosnüsse, dazu eine Unerreichbarkeit, in die nur Treibgut dringt – und schon desertieren wir in den Archipel der Zeitlosigkeit. In unserer Phantasie zumindest. Vor einem halben Jahrhundert setzte der Neuseeländer Tom Neale seinen Traum in die Realität um und ließ sich auf dem unbewohnten Suwarrow-Atoll in den Cook Islands aussetzen. Seine Erzählung „An Island to Oneself“ avancierte in den 1960er Jahren zum Südsee-Klassiker, weil sie genau den Sehnsuchtsnerv unserer zivilisationsmüden Gesellschaft traf.

Der österreichische Fahrtensegler Rollo Gebhard besuchte Tom Neale auf seiner Insel in 1968. Später schrieb er ein Vorwort zu der deutschen Ausgabe von Tom Neales Buch "Südsee-Trauminsel" welches inzwischen schon Seltenheitswert erreicht hat und nur noch so für hundert Euros erhältlich ist. Vor vielen Jahren kaufte mir meine nette Buchdame in Berlin zwei Exemplare von dem Buch, eins für mich und das andere als Geschenk - zusammen mit einem Koffer voll von Handwerksgeräten, Ersatzteilen, Haushaltssachen, und sogar einer Jahresversorgung von "Damenbinden" (dieses deustche Wort mußte ich erst auf Google finden) - für ein deutsches Ehepaar welches ich auf ihrer kleinen Insel in Tonga besuchen wollte. Allerdings war deren Idee vom Leben in der Südsee und deren eheliche Streiterei viel zu "deutsch" für mich und zu entfernt von Muße und Glückseligkeit, und so reiste ich nach ein paar Tage wieder ab. Das zweite Exemplar des Buches ist mir glücklicherweise geblieben denn ich liess es zuhause zurück, und so öffnete ich es heute wieder zum ersten Mal in einer sehr langen Zeit und begann Rollo Gebhards Vorwort zu lesen:

 

 

Vorwort von Rollo Gebhard

Die hohen Erwartungen, dort Glück und Freiheit zu finden, was immer die Einzelnen sich darunter vorstellen, wurden oftmals enttäuscht. Die Mühsal und Zwänge eines Lebens in der Natur wurde unterschätzt. Die Meuterer der Bounty träumten von einem freien Leben auf Tahiti, die Wirklichkeit aber brachte ihnen Tod und Verzweiflung auf dem unzugänglichen Eiland Pitcairn.

Unter the späteren Südsee-Enthusiasten fanden sich große Maler wie Gauguin und Hundertwasser und selbst der Schauspieler Marlon Brando gehörte zu jenen Träumern, die meinten, auf einer kleinen Insel in Polynesien zumindest zeitweise glücklich werden zu können.

Ein Irrtum, wie sich schon bald herausstellen sollte. Marlon Brando lebte niemals für längere Zeit auf seinem Eiland bei Tahiti und selbst Thor Heyerdal mußte einsehen, daß einem Kind der Zivilisation die Gegebenheiten einer fernen Insel auf die Dauer kaum erträglich sind.

Kein Wunder also, daß Tom Neale, der Autor dieses Buches, dem es in unserem Jahrhundert als Einzigem gelang, ein Leben wirklich allein, ohne Kompromisse, auf der winzigen Koralleninsel im Suwarrow Atoll zu führen, eine weltbekannte Persönlichkeit wurde.

Der gebürtige Neuseeländer hatte schon in jungen Jahren seine Liebe zur Südsee und ihren Inseln entdeckt, verbrachte dort einen großen Teil seines Lebens, fand aber erst in vorgerückterem Alter die Möglichkeit, seinen Traum, eine kleine Insel für sich allein zu besitzen realisieren zu können.

Mit so viel Energie, mit so viel Ernst und Opferbereitschaft ging er an die selbst gestellte Aufgabe, daß ihm der unmöglich scheinende Erfolg am Ende beschieden wurde.

Dabei liegt Suwarrow über tausend Kilometer von den nächsten bewohnten Atollen entfernt! Wie er sein Leben in der absoluten Einsamkeit gemeistert hat, welche Beweggründe ihn dazu brachten, seine durchaus gesicherte Existenz im bewohnten Bereich einer der schönsten Südsee-Inseln aufzugeben, das schildert Tom mit schlichten, ergreifenden Worten.

Bei vielen Gelegenheiten, insbesondere im Zusammenhang mit touristischen Attraktionen, wird von dem Begriff "Robinson" oder "Robinsonleben" Gebrauch gemacht.

Tatsächlich ist Tom Neale, dem es gelang - mit nur einigen Unterbrechungen - 25 Jahre unter wenigen Palmbäumen auszuharren, der einzige wirkliche Robinson des Jahrhunderts gewesen.

Nachdem ich seine Schilderungen in den sechziger Jahren geradezu verschlungen hatte, stand es für mich fest, daß ein Besuch bei Tom der Höhepunkt meiner geplanten Weltumseglung werden sollte. Als Alleinsegler wollte ich diesen außergewöhnlichen Menschen unter allen Umständen aufsuchen und kennen lernen.

Über ein Jahr war ich selbst in meiner Nußschale, einem Segelboot von nur 7 m Länge auf den Weltmeeren unterwegs gewesen, bis ich mich Suwarrow zum ersten Mal nähern konnte. Schier unerträglich wurden dabei zuletzt meine Zweifel, ob ich den Mann, der für so viele Menschen zum Idol geworden war, tatsächlich antreffen würde. Um so größer dann mein Staunen, meine Ergriffenheit, als sich die fast zierliche Gestalt des abgemagerten Eremiten in einem Kanu meinem Ankerplatz näherte. Das war 1968.

Während meiner oft Monate dauernden Überquerungen der Ozeane hatte ich die Einsamkeit selbst erlebt, aber wie dieser Mann jahreland ohne jede Hilfe, auf dem kaum drei Meter über den Meeresspiegel aufragenden Fleckchen Erde überleben konnte, blieb mir ein Rätsel.

Der Titel seines Buches, "Südsee-Trauminsel", läßt kaum ahnen, mit wie viel Mühe, Opfer und Gefahren der tägliche Kampf ums Überleben für den fleißigen, gänzlich introvertierten Menschen verbunden war. Die spannende Schilderung seiner harten Jahre erwähnt zwar eine Reihe von Schwierigkeiten, das ständige Ringen um ein erträgliches Dasein auf kleinstem Raum läßt aber die ungeheure seelische und körperliche Belastung, die absolut einmalige Leistung des menschenscheuen Einsiedlers nur erahnen.

Auf sein Buch angesprochen, das in alle Weltsprachen übersetzt wurde, äußerte sich Tom sehr verärgert über seinem englischen Verlag. Er fühlte sich zutiefst verletzt, daß man um einer größeren Spannung willen die Geschichte mit den Schweinen und wie er sie tötete einfach erdacht und ohne seine Zustimmung hinzugefügt hätte. "Könntest Du Dir vorstellen, daß ich ein Schwein mit eigenen Händen töte? Niemals!"

Die Begegnung mit Tom Neale gehört für mich zu den wichtigsten Ereignissen meines Lebens. Ich bin dankbar für jede Stunde, die er mit mir verbrachte. Eine besondere Freude bereitete er mir während meines zweiten Besuches auf Suwarrow, acht Jahre später. Er erlaubte mir, ihm einige Fragen vor der Kamera zu stellen und somit das einzige Interview aufzunehmen, das er je gegeben hat.

Als wir uns am letzten Tag meines Aufenthaltes vor seiner Hütte noch einmal trafen, wagte ich schließlich eine sehr persönliche Frage: ob er seinen Entschluß, auf Suwarrow zu leben, jemals bereut hätte? Die Antwort hieß klar und einfach: "No!" Als ich aber dann weiter wissen wollte, ob er sich noch einmal für ein Leben fern von den Menschen, fern von Familie und Freunden entscheiden könnte, wurde er unsicher, fing an zu grübeln, blickte auf und sagte schließlich leise: "Noch einmal? Noch einmal eine so harte Zeit? So viele Enttäuschungen? Wohl lieber nicht!"

Es war ein Dasein in der Natur, das er suchte. Wenn er jeden Abend bei Sonnenuntergang auf seinem kleinen Stühlchen am Strand saß und sinnend das Versinken des großen Lichtes im Meer verfolgte, so war dies sein täglicher Gottesdienst, seine Zwiesprache mit der Allmacht.

Tom Neale war reich, weil er keine Bedürfnisse hatte. Er strebte niemals nach Besitz und fühlte sich deshalb frei und unabhängig. Sein Bericht ist ein wichtiges Zeugnis dafür, daß es auch in unserer Zeit Menschen gegeben hat, denen ein Leben in der Nature und für die Natur mehr bedeutete, als persönlicher Wohlstand.

 

Wie ich schon schrieb, Tom Neales Buch hat jetzt Seltenheitswert, in der deutschen wie auch der englischen Auflage, obwohl man es mit Hilfe von Google gelegentlich auf der Internet noch finden kann. Rollo Gebhard, der leider in 2012 in Bad Wiessee verstarb, schrieb auch mehrere Bücher. In seinem Buch "Meine Südsee" widmet er ganze dreiunddreißig Seiten Tom Neale und seiner Südsee-Trauminsel. Vielleicht kann man dieses Buch noch finden und kaufen. In der Zwischenzeit habe ich diese Seiten für alle Tom Neale Bewunderer auf der Internet festgelegt - drücke bitte hier oder hier.

 


 

P.S. Tom Neale starb am 27 November 1977 in Rarotonga in den Cook Islands im Alter von 75 Jahren. Rollo Gebhard starb mit 92 Jahren am 27 Dezember 2013 in seinem Haus im bayerischen Bad Wiessee.