"Irgendwo über den Bergen Muss meine ferne Heimat sein." Hermann Hesse
Thursday, August 6, 2020
Das gibts heute nicht mehr
Wie der Hannes Wader schon sang:
Nach acht Jahren Schule konfirmirt
Stand ich da mit meinem Zeugnis
Zeichnen, Singen, Religion gut
Mutter wollte gern das ich Schriftsetzer
Würde wie mein Großvater
War aber nichts zu machen
Zu viele Bewerber mit Abitur
Vater war mehr für Maurer oder Tischler
Aber ich, klein und mager,
Blass vom Lesen jede Nacht
Heimlich bei Kerzenlicht
Gedanken immer woanders
Und dann auf dem Bau
Das ging eben nicht
Doch ich bekam eine Lehrstelle
In einem Schuhgeschäft
Als Schaufenstergestalter
Für mich: Stiefvater war mehr für Insolierer so wie er ... aber ich, klein und mager, blass vom Lesen jede Nacht ... bekam eine Lehrstelle in einer Feuer-Versicherungs-Gesellschaft als Versicherungskaufmann
Das ist doch ewig lange her
Ist vergessen, das war mal
Das gibts heute nicht mehr
So sollte man meinen und doch
so was gibt es noch
so was gibt es noch
Für mich: Zeichnen ausreichend; Musik befriedigend; Religion gut (Drücke aufs Bild für mehr!)
Erstes Lehrjahr
40 Mark im Monat
Tagesablauf wie folgt:
Morgens um Sieben zum Bus
Brot und Henkelmann in der Aktentasche
Und Ermahnungen, Ernst des Lebens,
Lehrjahre sind keine und so weiter,
Dann in der Firma
Pampelmusen, Teebeutel, Jokurt einkaufen
Für die Kollegen zum Frühstück
Dann Ware auspacken ins Lager einräumen
Etiketten kleben dann Glühbirnen auswechseln
Mittagspause
Dann in den Schaufenstern Schuhe Glasplatten abstauben
Dann in den Keller Arbeitsstiefel fetten
Neunzehn Uhr Feierabend
Das ist doch ewig lange her...
Für mich: Erstes Lehrjahr 86 Mark im Monat
Zweites Lehrjahr
60 Mark im Monat
Tagesablauf genau wie im ersten
Nur alle vierzehn Tage Nachtarbeit
Dafür durften wir abends warm essen auf Geschäftskosten
Ich bekam das erst Steak meines Lebens mit vierzehn
Einmal setzte sich der Chef zu uns
Und bestellte sich ein Mettbrötchen
Und erzählte wie er angefangen hat
Mit einem Bauchladen, Schnürsenkel
Durch Fleiss und Sparsamkeit
Heute Besitzer einer Ladenkette
Präsident des deutschen Schuheinzelhandels
Mein erstes Steak ich habe es wieder ausgekotzt
Das ist doch ewig lange her...
Für mich: Zweites Lehrjahr 105 Mark in Monat
Drittes Lehrjahr
80 Mark im Monat
Tagesablauf wie gehabt
Hinzu kam das Bedienen der Kunden in Stoßzeiten
Dann die Verwaltung des Gummistiefellagers
Aufblasen von Reklameluftballons
Und wachsender Unmut unter uns Lehrlingen
Gewerkschaften kannten wir nicht
Aber trotzdem wurde ein Sprecher gewählt
Und das ist in so einem Fall
Immer der naivste oder der mutigste
Ich war beides also sprach ich
Ergebnis: ich bekam das Filzpantoffellager noch dazu
Durfte am Betriebsausflug nicht teilnehmen
Und die Kollegen schnitten mich
Das ist doch ewig lange her...
Für mich: Drittes Lehrjahr 142 Mark im Monat
Ende der Lehrzeit
Was hatte ich eigentlich gelernt
So gut wie gar nichts
Dann die Prüfung
Alle wussten ich würde durchfallen
Aber ich bestand
Freisprechung mit allem Drum und Dran
Streichquartett, Reden, Kaufmannsgehilfenbrief, Glückwünsche
Nur die Geschäftsleitung war sauer
Und warum? Sie hätte mich gern durchfallen sehen
Um mich als billige Arbeitskraft
Noch ein Jahr länger behalten zu können
Nun drei weitere Jahre habe ich das noch mitgemacht
Bevor ich mich traute zu sagen
Das ist nicht mein Leben
Das ist doch ewig lange her...
Laalalala
Für mich: zwei Jahre habe ich das noch mitgemacht bevor ich mich traute zu sagen "Das ist nicht mein Leben", und wanderte nach Australian aus.
Ich wanderte im Jahre 1965 vom (k)alten Deutschland nach Australien aus. In Erinnerung an das alte Sprichwort "Gott hüte mich vor Sturm und Wind und Deutschen die im Ausland sind" wurde ich in 1971 im Dschungel von Neu-Guinea australischer Staatsbürger. Das kostete mich nur einen Umlaut und das zweite n im Nachnamen - von -mann auf -man.
Australien gab mir eine zweite Sprache und eine zweite Chance und es war auch der Anfang und das Ende: nach fünfzig Arbeiten in fünfzehn Ländern - "Die ganze Welt mein Arbeitsfeld" - lebe ich jetzt im Ruhestand in Australien an der schönen Südküste von Neusüdwales.
Ich verbringe meine Tage mit dem Lesen von Büchern, segle mein Boot den Fluss hinunter, beschäftige mich mit Holzarbeit, oder mache Pläne für eine neue Reise. Falls Du mir schreiben willst, sende mir eine Email an riverbendnelligen[AT]mail.com, und ich schreibe zurück.
In der Zwischenzeit, falls Du mein Blog in der englischen Sprache lesen willst, besuche mich At Home at Riverbend.