Vor vielen Jahren als ich zum ersten Mal begann über meine lang vergangene Jugendzeit in Deutschland zu ruminieren, erinnerte ich mich an die Bücher des Heinz Helfgens die ich mir damals nicht erlauben konnte. Kurz entschlossen suchte ich sie mir auf dem Internet und da waren sie schon: "Ich radle um die Welt" Band 1 und 2.
Ich bestellte sie von einem Buch-Antiquariat in Berlin und daraus wurde dann eine lange Freundschaft (denkt man da gleich an "84, Charing Cross Road"?) denn die "Buchdame" in dem Antiquariat war ebenso an Australien interessiert wie ich an ihre Bücher. Ich bestellte noch einige andere Bücher aber zumeistens hatte sie mir mehr Bücher geschenkt als verkauft was hoffentlich nicht dazu beitrug dass sie schliesslich ihren Laden zumachte.
Aber unsere Freundschaft ging weiter obwohl die Emails in letzter Zeit weniger wurden. Wie in jedem Jahr wünschte ich ihr auch am Zwölften dieses Monats alles Gute zum Geburtstag, erhielt aber nicht wie in jedem Jahr eine Antwort. Da muss man sich dann schon seine Gedanken machen denn es war ihr 85. Geburtstag gewesen und da könnte alles möglich sein.
Ansonsten konnte ich von der allwissenden Internet nichts weiteres erfahren, obwohl ich auf der Seite "Die Geschichte Berlins" vom 27.5.2020 diese sehr lesenswerte Erzählung aus ihrer eigenen Feder fand:
"Ich bin ein Kriegskind, geboren wenige Tage nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und einziges Kind meiner Eltern, aufgewachsen in einfachen Verhältnissen, die während des Krieges immer bescheidener wurden. Mein Vater wurde zur Marine eingezogen. Schick sah er in Uniform aus. Stationiert war er in Kiel, seine Zeit bei der Marine war kurz, er musste zurück nach Berlin, UK gestellt von der AEG. Aus der Traum von Seefahrt, von Schiffen, Häfen und den Hafen-kaschemmen.
Zu der Melodie: "Wo die Nordseewellen trecken an den Strand ..."
wurde gesungen: "Wo die Bomben fallen, und das Licht geht aus, da ist meine Heimat, da bin ich zu Haus."
Bei all den Ereignissen des Krieges, den Bombenangriffen, den Christbäumen, Bündeln von Leuchtkugeln, die die Bombardierungsgebiete absteckten, der ausgebombten Großmutter, die völlig verstört mit ihrem Köfferchen auf den Trümmern ihres Wohnhauses saß, hatten wir noch Glück. Die Wucht der Bombenangriffe hatte uns in den Randbezirken nicht so hart getroffen wie die dicht besiedelten Bezirke Kreuzberg, Friedrichshain, Mitte und Wedding. Meine Mutter litt sehr unter den Bombardements, sie wollte raus aus Berlin. In ihrer Heimat Schlesien war nicht genug Platz für uns. Endlich fand sich ein entfernter Cousin in der Nähe von Kyritz bereit, uns aufzunehmen. Nach wenigen Tagen war meine Mutter von dem schlichten Landleben in dem kleinen Häuschen so genervt, dass sie wieder zurück wollte. Ich wäre so gern geblieben, es gab dort vieles, was ich noch nie gesehen hatte. Das Schwein fand ich sooo toll, dass ich in den Schweinekoben kroch. Wir machten es uns beide richtig gemütlich, für meine Mutter war es bestimmt einer der Höhepunkte dieser Wochen. Nun waren wir wieder in Berlin. Die nächtlichen Angriffe wurden beinahe zur Routine. Fenster mussten verdunkelt werden. Geweckt von der Sirene schnappte man sich Kind mit Teddy, Köfferchen mit den wichtigen Papieren und ab in den Luftschutzkeller. Auf jedem Treppenabsatz standen zwei Eimer mit Sand, Wasser zum Löschen war wirkungslos. Eine Luftmine traf uns. Als wir wieder oben waren, sahen wir den Sternenhimmel, Fenster raus, Tapete von den Wänden. Am 4. Mai schwiegen in Berlin endgültig die Waffen. Wir hatten uns so gut es ging verbarrikadiert, als der Bruder meiner Mutter in Uniform und mit Waffe desertierte und verzweifelt ins Haus wollte. Das löste Panik aus, alle sahen sich schon an die Wand gestellt. Uniform aus, über den Zaun, umgehend zurück. Wohin damit? Vergraben ging nicht, frische Erde fiel auf, also in den Schornstein verbracht, die Waffe ebenfalls. Der Bruder meiner Mutter verbreitete nicht nur Angst und Schrecken, er entwickelte ein ungeahntes Beschaffungstalent sowohl bei den Russen, als auch später bei den Franzosen. Der Eroberung der Stadt durch die Rote Armee folgte eine Welle von Gewalt und Grausamkeiten, Vergewaltigungen von Frauen aller Altersgruppen, Plünderungen, Mord. Ich erinnere mich der russischen Vorhut, der Mongolen, und des Schreckensrufes „Frau komm“ und „Uri, Uri.“ Die Frauen wurden versteckt, unkenntlich gemacht. Ich erinnere mich der Panje-Pferdchen in unserem Garten und der Russen-Frauen, vor denen ich mich fürchtete. Mein Vater wurde verhaftet und ins Zuchthaus Plötzensee verbracht. Er kam überraschend schnell wieder nach Hause, arbeitete auf dem Kohlenplatz hinter unserem Haus, zerklopfte Dachziegel, die dann als roter Stern um Straßenschilder und Laternen gestreut wurden. Ich habe meinen Vater gern besucht, es gab oft eine Kleinigkeit fürs Kind. Manchmal brachte er einen Henkelmann mit Essen nach Hause. Unsere Wohnung hatten wir noch, wenn auch mit Einschränkungen. Ein Tisch war uns geblieben, ein Bein stark angesengt, aber noch standfest, ein Sessel mit einer Lehne, eine Chaiselongue, überraschenderweise das Schlafzimmer und Teile der Küche. Unvergesslich ist das Loch im Fußboden, verursacht von einer Brandbombe. Legte ich mich auf den Bauch, konnte ich in das Wohnzimmer von Tante Anna sehen. Das wurde nicht geschätzt. „Ottoo, das Kind guckt schon wieder.“ Das Kind fand das toll, besonders, wenn Tante Anna sich erregte." |
So ähnlich ist es uns ja allen ergangen obwohl meine Erinnerungen daran nicht ganz so intensiv sind, da ich erst am Ende des Krieges geboren war.
Also, Renate, wenn Du dies liest, schreib 'mal wieder!