Monday, August 22, 2022

Meine Kinderverschickung

 

 

Mindestens drei Millionen Kinder und Jugendliche wurden ab der 1950er-Jahre zum Zwecke der Gesundheitshilfe in Kinderheime an der See oder in den Bergen verschickt. Diese Kinder und Jugendlichen waren entweder zu dünn (die meisten), zu dick (kaum jemand) oder sie kränkelten. Die Eltern waren der festen Überzeugung, es würde ihnen gut gehen auf dieser "Kur". Heute weiß man: Für sehr viele Verschickungskinder war der Aufenthalt ein Martyrium, das bis in die Gegenwart nachgewirkt hat.

Als unterernährtes und armes Nachkriegskind aus einem zerbrochenen Elternhaus schickte mich der Schularzt auch einmal zum "Auffüttern" in ein sogenanntes "Erholungsheim" auf der ostfriesischen Insel Langeoog - natürlich im Winter wenn niemand anders dort hin wollte! Obwohl meine Erinnerungen nicht positiv sind, überlasse ich es anderen zu urteilen ob sich diese Kinderverschickung bei mir zum Nachteil ausgewirkt hat.

 

 

Langeoog im Winter war nicht viel besser als Braunschweig, bloss mit Wasser rings herum. Bei der Ankunft wurden wir auf die Waage gestellt. Anscheinend wurde der Heimleiter "Onkel Max" für jedes Pfund extra bezahlt denn wir wurden wie Schlachtvieh regelmässig wiedergewogen.

Ich war damals noch ganz klein und machte manchmal noch das Bett nass. Das hatte man dem "Erholungsheim" noch vor der Ankunft mitgeteilt und somit kam schon am ersten Abend die "Schwester" in den Schlafsaal und zog im Beisein all der anderen Kinder ein Gummilaken auf mein Bett.

Für die nächsten paar Wochen war ich nicht nur dem Hänseln der anderen Kinder ausgesetzt, sondern versuchte auch so lange wie möglich wach zu bleiben um zu vermeiden daß ich einschlief und im Schlaf das Bett nässte.

Dennoch passierte es mehrere Male, insbesondere als einige der Kinder ganz früh am Morgen nachdem ich endlich eingeschlafen war, meine Hand in einen mit Wasser gefüllten Eimer hängten und es dann plötzlich losging.

Das war aber nur der Anfang denn ich musste dann während der ganzen Frühstückszeit in der Ecke stehen und konnte erst essen nachdem all die anderen fertig waren. Das war eine meiner schlimmsten Erniedrigungen!

Habe ich mich darüber beklagt? Dafür war ich viel zu klein! Jetzt fand ich jedoch diese Dokumentation ouf YouTube die mir zeigte was für ein großes profitierendes Geschäft diese "Erholungsheime" waren und wie es vielen anderen Kindern ebenso oder sogar noch schlimmer ergangen ist.

Allerdings will ich gar nichts wissen von der heute so üblichen Nabelschau und dem Psychogeschwätz in dem sich jetzt jeder als Opfer betrachtet für alles das ihm je in seinem Leben passiert ist. Da gibt es jetzt sogar eine Bewegung die nennt sich "Verschickungsheime - Das Vergessene Trauma".

Dieses "vergessene Trauma" sollte auch lieber vergessen bleiben denn ich habe schon immer mein Leben nach Friedrich Nietzsches Motto gelebt: "Was mich nicht umbringt, macht mich stärker."