Saturday, June 20, 2020

"Irgendwo über den Bergen muss meine ferne Heimat sein" - Hermann Hesse

 

Hamburg, 2. January bis 29. Februar 1968

 

Nach meinen zwei Jahren als unterstützter Einwanderer in Australien war ich Weihnachten 1967 wieder in der (k)alten Heimat. Es sollte aber nicht für lange sein denn ich hoffte daß die Deutsch-Südamerikanische Bank mich nach Südamerika versetzen würde. Zuerst mußte ich aber durch den deutschen Winter kommen und meinen Vorgesetzten beweisen daß ich meine deutsche Unterordnung im freien Australien nicht vergessen hatte.

Während einer kurzen Mittagspause die ich im kalt und grauen Draußen verbringen wollte, kam ich mit meiner Stulle in der Hand die Marmorstufen der Bank herunter. Zwei Direktoren der Bank hielten mich an und wollten wissen ob ich ein Angestellter der Bank wäre. Ja, war ich! Na, dann sollte ich die kleine Seitentreppe benutzen. Falsche Treppe, falsches Land!

 

Braunschweig, 1. März bis 30. April 1968

 

Geld für eine sofortige Rückreise nach Australien hatte ich nicht; also zurück zu meiner alten Heimatstadt Braunschweig wo ich zuerst bei meinem Vater unterschlüpfte und eine Anstellung bei der Braunschweig-ischen Staatsbank in deren Auslandsabteilung annahm. Und so hätte es sein können: wieder zuhause und sogar als versierter Bankkaufmann.

Aber auch als Nichtraucher war der Duft der großen weiten Welt in meiner Nase und ich wollte mir schnell das Geld für die Rückreise nach Australien verdienen. Die Braunschweigische Staatsbank zahlte DM650,-- pro Monat, die First National City Bank in Frankfurt zahlte über DM1.000,-- pro Monat.

 

Frankfurt, 1. Mai bis 30. September 1968

 

Also ging ich nach Frankfurt wo ich für fünf Äpplewoi-feuchte Monate im fröhlichen Sachsenhausen wohnte. Als Mitte September meine nette Wirtin anfing den Ofen in meinem gemieteten Zimmer anzuheizen wurde mir klar daß ich einen zweiten deutschen Winter nicht überleben würde. Geld für die Rückreise nach Australien hatte ich immer noch nicht da ich zuviel Äpplewois und Handkäs mit Musik genossen hatte, aber eine Firma in Afrika war bereit mich dort kostenlos hinzufliegen um eine Anstellung in Lüderitz anzunehmen. Tschüß, Deutschland! Hoe gaan dit, Suidwes-Afrika?

 

Südwest-Afrika, 30. September 1968 bis 31. März 1969

 

"Irgendwo über den Meeren muss meine ferne Heimat sein". Und so kam ich dann schließlich im April 1969 wieder in meiner Heimat Australien an!

 

Friday, June 19, 2020

Autres temps, autres moeurs

 

 

Hinter diesen Fenstern im Obergeschoss der Münzstraße 2 saßen in den 60er Jahren zwanzig Leute in drei Zimmern mit einem fensterlosen Klo!

Ludwig Erhard hatte gerade sein Buch "Wohlstand für Alle" veröffentlicht, aber weder sein Buch noch sein Wohlstand hatte uns bisher erreicht. Das sogenannte "Wirtschaftswunder" war kein Wunder das über Nacht kam sondern mit harter Arbeit und dem Verzichten auf persönlichen Komfort.

Zwanzig Angestellte und Lehrlinge - ich war einer der Lehrlinge - teilten sich drei Zimmer so groß wie normale Wohnzimmer, mit Schreibtischen - und ich meine "Tische" mit nur zwei Schubladen - die ohne Zwischenraum Brust an Brust und Seite an Seite quer durchs Zimmer aufgestellt waren.

Der Büroleiter und Abteilungsleiter der jeweiligen Abteilung hatten den Luxus eines 'richtigen' Schreibtisches direkt am Fenster, atmeten aber sonst auch die selbe dicke Luft und aßen den selben Mittagstisch der kurz vor Zwölf von einer Großküche abgeliefert wurde. Zwei Lehrlinge mußten dann ihre Tische opfern, eine Plastiktischdecke wurde darüber gelegt, und die Buchhalterin spielte "Mutti" und servierte die Königsberger Klöpse oder Kohlroladen oder Falschen Hasen oder Grünkohl mit Würstchen.

Natürlich mußte das alles auch einmal wieder weg und der Wettlauf der zwanzig Leute zum Klo began, ein Klo gerade groß genug für den Klositz und ein Handwaschbecken welches seinen Namen verdient hatte denn nur eine passte da rein. Und natürlich passte nur ein Mensch ins Klo und wenn dieser Mensch dann auch noch seine BILD-Zeitung mit zum Klo genommen hatte - oder im Falle des Fußball-verrückten Abteilungsleiter der Kraftfahrzeugversicherungs-Abteilung das KICKER Sports-Magazin - da Zeitungslesen bei der Arbeit verboten war, dann mußte man seinen Atem halten und warten was vielleicht auch das Beste war denn diese kleine Kammer hatte weder ein Fenster noch sonst irgendeine andere Ablüftung. Der einzige Luxus war richtiges Klopapier auf einer Rolle und nicht wie zuhause geviertelte Seiten der Braunschweiger Zeitung, was zeitlich auch besser war denn sonst hätten die Leute auch noch diese Seiten gelesen.

Und hier ist ein Bild von diesen zwanzig Leuten die sich damals ein winziges Klo teilten denn zu der Zeit waren wir mehr daran interessiert satt essen zu können und eine Wohnung zu haben und eine Anstellung. (Das Bild selbst wurde zum Anlass eines Betriebsausfluges gemacht zum Hauptsitz der Hamburg-Bremer Feuer-Versicherung in Hamburg welches einen mehr imponierenden Eingang mit mehr als einem Klo hatte.)

 

Von links nach rechts:

Erste Reihe: Ruth Zausra aus der Buchhaltung; unser Chef und Bezirksdirektor Herr (Manfred) Weber; der Büroleiter Herr Balke; der Lange daneben ist Günther Kohoff aus der Kfz-Abteilung.

Zweite Reihe: Fräulein Träger, eine Dame aus dem Schreibzimmer; Frau Seidel aus dem Empfang; die zwei jungen Damen neben ihr waren die Lehrlinge Ingrid Weinkauf und Marlies Spannuth; der Lehrling Bernd Burghof; Herr Weihe aus der Kfz-Abteilung; der Lehrling Bernd Hohm; ich selbst mit Brille und neuem Anzug.

Dritte Reihe: meine (allererste) Freundin (obwohl wir das beide damals noch nicht wussten); Alice, ein Lehrling in der Feuer-Abteilung; Fräulein Jilek, eine Schreibdame die viel für mich tippte; der Mann mit der Brille ist mir unbekannt; Karin Mohrmann war auch Lehrling; ich hatte ihren Namen fast vergessen; von den drei Köpfen rechts hinten erkenne ich nur Manfred Wichmann auf der linken Seite.

Ich erinnere mich auch noch an einen Herrn Offschorz (ist das die richtige Buchstabierung?) der nicht auf dem Bild ist. Und wo ist der Herr Schiller? Und wo sind die Lehrlinge Christine und Trute und der Lehrling Lothar der eine Vespa hatte? Hatten die die Hamburg-Bremer schon verlassen? Hatten sie wohl denn die HB war eine richtige "Lehrlingsfabrik".

 

 

Obwohl mir nach drei Lehrjahren das Warten gewöhnt war, hatte ich keine Lust noch für viel länger auf das noch ausstehende "Wirtschaftswunder" zu warten und wanderte gleich ins sonnerige Australien aus - aber das ist eine ganz andere Geschichte für einen ganz anderen Tag --- siehe hier.

 

 

Wednesday, June 17, 2020

Schaumwaffeln mit Migrationshintergrund

 

 

Als Kinder in den 50er and 60er Jahren waren wir zu ungeBILDet um uns eine 10-Pfennig BILD-Zeitung zu kaufen. Anstelle dessen sparten wir jeden Groschen um uns einen Negerkuss zu kaufen.

Ich hörte gerade man ist nicht mehr erlaubt N****küsse N****küsse zu nennen. Ist "Schaumwaffeln mit Migrationshintergrund" politisch korrekt?

 

 

Monday, June 15, 2020

Frische Fische fischt Fischers Fritz

 

www.oeffentliche.de

 

Im zerstörten Nachkriegsdeutschland waren nicht nur die Häuser zerstört, sondern auch viele Familien, und so zog ich hin und zurück von meinem Vater und meiner Stiefmutter am Cyriaksring 47 zu meiner Mutter und meinem Stiefvater am Altewiekring 23. Das war eine gute Übung für mein späteres Leben als ewiger Weltenbummler - 15 Länder in 20 Jahren!

Vom Cyriaksring 47 hatte ich ja schon geschrieben. Hier oben ist jetzt ein Foto vom Altewiekring 23 wie er heute aussieht. Die Bergstraße hat jetzt Bäume die es damals gar nicht gab und die offenen Balkone am Haus sind weg und so ist der Gemüseladen der jetzt eine Versicherungsagentur ist (wie angemessen denn von hier ging ich täglich zur Münzstraße wo ich bei der Hamburg-Bremer Feuerversicherung Lehrling war um in drei Jahren ein Versicherungskaufmann zu werden).

 

 

Vor der Lehrzeit kam aber noch die schöne Schulzeit an der Volksschule in der Heinrichstraße, das winterliche Rodeln auf dem Frankschen Feld, das sommerliche Radeln zum Entenfüttern in Riddagshausen, und die vielen Wochenende im Landheim der "Fahrenden Gesellen" zwischen den Wäldern und Spargelfeldern außerhalb der Stadt. Wir waren arm aber reich!

Reich genug um jeden Freitag mit einer alten verbeulten Blechkanne vom Fischladen in der Husarenstraße sechs eingelegte Heringe abzuholen. Als Kinder liefen wir in den Fischladen und riefen "Wieviel kosten die eingelegten Heringe" und hörten uns den Preis an. "Und wieviel kostet die Soße?" Die heftigen Damen in ihren weissen Gummischürzen kannten schon das Spiel und antworteten "Die Soße ist umsonst." Wir riefen zurück "Dann nehmen wir bloß die Soße" und liefen wieder raus.

Und sechzig Jahre später ist der Fischladen immer noch da, obwohl er jetzt Fischfeinkost Groß heißt. Ich schrieb dem (wahrscheinlich jetzt anderen) Besitzer und ein Ulrich Rickmann versicherte mir daß "mit der Soße sind wir immer noch großzügig und das Rezept ist auch noch das gleiche."

 

 

Eingelegte Heringe mit Pellkartoffeln und eine Stulle mit Grebenschmalz und Harzer Käse! Das wäre schon fast die 15.000 Kilometer Flugreise wert denn so etwas gibt es im immer sonnigen Australien überhaupt nicht!

 

Hier wurde immer auf Pump gekauft

 


© Archiv Heiko Krause

 

Das Lebensmittelgeschäft Köhler an der Ecke der Juliusstraße war immer unser Lebensretter denn hier konnten wir anschreiben bis der Geldbrief-träger dem Vater seine nächste monatliche Kriegsrente brachte. Dem gab er dann 50 Pfennig Trinkgeld und der Rest ging gleich zum Lebensmittel-geschäft Köhler wo wir den ganzen Monat auf Pump eingekauft hatten.

Wenn er Glück hatte, blieben dem Vater ein paar Mark übrig für ein Päck-chen HB und eine Pulle "Wolters oder Wolters nicht". Für uns Kinder war das eine normale Sache denn wir wußten gar nicht wie arm wir waren.

Dieses alte Foto schickte mir der Moderator Heiko Krause durch die facebook-Seite "Braunschweig - im Wandel der Zeit". Er hat auch tolle Aufnahmen vom alten Kopfbahnhof - siehe hier - einschließlich dieses alten Elektrokarrens mit dem ich mir meinen ersten Spitznamen verdiente.

 

 

Das war irgendwann in den späten 50er Jahren. Als unterernährtes und armes Nachkriegskind schickte mich die Stadt Braunschweig einmal zum "Auffüttern" in ein sogenanntes Erholungsheim auf der Insel Langeoog - natürlich im tiefsten Winter wenn niemand anders dort hin will! - und wir, eine größere Gruppe von mehreren "Unterernährten", standen auf dem Bahnsteig und warteten auf den Zug.

Dann kam dieser Elektrokarren. Der Fahrer kuppelte den Anhänger ab, schob die Kuppelstange des Anhängers hoch, und fuhr weg. Einer der "Unterernährten" wollte den Anhänger wegschieben aber das ging nicht denn die gehobene Kuppelstange hatte automatisch die Bremsen angelegt.

"Das ist synkronisiert," teilte ich ihm mit. Tiefes Schweigen! Dann fragte eine Stimme aus der Gruppe, "Von welcher Schule kommst Du denn?" Obwohl ich ihnen versicherte daß auch ich bloß ein armer Volksschüler war, wurde mein Name für die nächsten vier Wochen "der Synkronisierte".

 

Sunday, June 7, 2020

Auswandern nach Australien

 

 

Auswanderer haben den Mut, ihr altes Leben aufzugeben und in der Fremde ganz von vorne zu beginnen. Sie verlassen die vertraute Umgebung, ihre Familie und Freunde, ihre Kultur und begeben sich in ein Land, dessen Sprache sie oft nicht einmal beherrschen – und sie tun dies freiwillig.

Ihnen verlangte der Neuanfang eine Menge ab, und sie bewiesen einen enormen, heute oft kaum vorstellbaren Mut. Nicht nur den Mut, sich von Bekanntem zu lösen, sondern auch den Mut, nicht aufzugeben, ganz neue Wege zu gehen und etwas zu tun, wofür es keine Vorbilder gab.

 

 

Deutsche sind heute die sechsgrößste Völkergruppe in Australien, obwohl aus den meisten dieser dort oben erwähnten "fine, young men and women" heute "fine, old men and women" geworden sind. Und einer dieser "fine, old men" nennt heute Nelligen sein Zuhause.