Saturday, September 14, 2024

Eine Reise in die 50er Jahre

 

 

Das Deutschland in den 50er Jahren - und den frühen 60er - ist das einzige Deutschland das ich kenne denn in 1965 ging es schon ab nach Australien. Vom Wirtschaftswunder erfuhr ich gar nichts denn in unserem Zuhause lebten - existierten - wir, die Eltern und fünf Kinder, nur von der Kriegsrente unseres Vaters und jeder Pfennig wurde dreimal umgedreht.

Dennoch gaben wir dem heiß erwarteten Geldbriefträger, der monatlich Vatis kleine Rente ins Haus brachte, immer sein 50-Pfennig Trinkgeld. Der Rest ging dann gleich zum Lebensmittelgeschäft an der Ecke bei dem wir den ganzen Monat angeschrieben hatten.

Ich fing mit 14 Jahren an zu arbeiten denn selbst mein Lehrgeld, so klein wie es auch war, half mit uns über die Runden zu bringen. Da war vom Wirtschaftswunder keine Spur. Schreckliche Kindheit? Wieso? Wir waren so an kaputte Städte und Trümmergrundstücke und fehlende Badezimmer und Klos auf der Unteretage gewöhnt daß es uns gar nicht armseelig und schrecklich erschien. Wir kannten nichts anderes.

Als wir mit der Berliner Luftbrücke aus dem Osten kamen, wohnten wir zuerst in einer Gartenlaube ohne Licht und fließendem Wasser. Dann in einer Zwei-Zimmer Wohnung die wir uns mit einem anderen Ehepaar teilen mussten das uns vom Wohnamt zugewiesen war. Schlange stehen vor dem Klo war da nichts außergewöhnliches. Man musste sich dann immer beeilen obwohl es genug Lesestoff gab denn das "Klopapier" waren alte Zeitungen die ich in kleine Viertel verschneiden musste. Dadurch habe ich das Lesen früh gelernt und wurde eine Leseratte.

In die Ferne gehen - Reisen - war damals ein Luxus für reiche Leute und selbst Fernsehen kam nur viel, viel später. Damals wurde auf der Straße ferngesehen vor dem Schaufenster eines Fernsehgeschäftes - siehe hier. Abends saßen wir in der warmen Küche und starrten auf das magische grüne Auge in unserem Blaupunkt-Radio aus dem ein Hörspiel kam oder wir spielten nächtelang "Mensch ärgere Dich nicht!" - siehe hier.

Und von dem meisten was sie auf diesen Dokumentarfilmen zeigen wusste ich auch nichts, denn für solche Dinge war kein Geld und keine Zeit da. Ich denke auch nicht daß ich viel verpasst habe. Ob die 50er Jahre besser waren - besser als was? - weiß ich nicht denn ich lebe seit 1965 in Übersee wo es zumindest anders ist.

"Es lebe die Nachkriegszeit, die ist fast so schön wie die Vorkriegszeit." ["Wir Wunderkinder"]