Tuesday, December 24, 2013

Erinnerungen an Stendal

 

Ein netter Mensch aus meiner alten Geburtsstadt Stendal schickte mir einige Ausgaben des Stendal Magazins. Das waren hohe Portokosten für ein Magazin das man auch auf deren Webseite lesen kann, aber wie es bei uns heißt, "it's the thought that counts".

Immerhin war es interessant etwas über die Stadt zu lesen in der ich im September 1945 geboren war. Wir zogen in 1945 nach Stendal nachdem wir in Magdeburg völlig ausgebombt waren. Ich habe von der Zeit überhaupt keine Erinnerungen denn in 1948 gingen wir bei Nacht und Nebel nach Berlin. Mein Bruder Karl-Heinz, der schon im April 1948 seinen Führerschein gemacht hatte, fuhr unseren alten Adler bis nach Potsdam. Dort übernahm unser Vater das Steuer und wir donnerten unter Maschinengewehrsalben der Russen ohne Halt (denn es war dort eine Kontrolle zwischen Ost und West) über die sogenannte Friedensbrücke nach Grunewald/Zehlendorf in West-Berlin.

In Stendal wohnten wir zuerst in der Weberstraße wo ich im September geboren wurde, und danach in einem gekauften Haus in der Parkstraße. Das Haus in der Parkstraße war ein Mischbau; darin befand sich früher ein Bierverlag mit Eisanlage (Stangeneis) und unser Vater fabrizierte dort auch weiterhin Eis. Dazu kam noch ein Grundstück (mehr Garten als Grundstück) am Haferbreiter Weg, wo eine ehemalige Arbeitsdienstbaracke stand und wo unseres Vaters Betrieb auch seine Betriebsfeste feierte. Auch ein Grundstück in der Innenstadt, in der Petrikirchstraße, hatte unser Vater gekauft und dort eine Schweinemästerei eingerichtet.

Der Schauspieler Heinz Rühmann war damals mein Patenonkel in Stendal gewesen obwohl ich es kaum annehme dass er sich seinerzeit noch daran erinnerte. Heinz Rühmann gab damals in Stendal ein Gastspiel. Rühmann und seine Frau, Herta Feiler, kampierten bei uns mit seinem ganzen Tournee-Stab (Werner Fütterer, Alexa von Poremski, Bruni Löbel) und durch seinen Inspizienten, mit dem wir noch länger in Verbindung standen, bekamen wir aus Berlin einen Tonfilmprojektor (DeBrie) und er versorgte uns danach laufend mit "Leih"-tonfilmen, 16-mm, (Zarah Leander etc. pp).

Uns ging es ja damals den Umständen entsprechend recht gut. Wir hatten trotz der schlechten Zeiten keinen Mangel. Rühmann und sein Ensemble tingelten damals praktisch fürs "tägliche Brot" durch die Provinz und waren sicher froh, irgendwo einen Unterschlupf gefunden zu haben. Bei uns war damals ein "ziemliches Leben in der Bude", denn die waren praktisch bei uns zuhause. Das Theater in Stendal lag ja fast um die Ecke.

Wir wohnten in der Weberstraße # 4 in einem Einzelhaus, das vorher wohl irgendwie zur Stadtgärtnerei oder so ähnlich gehörte. Für damalige Verhältnisse recht komfortabel. Etwas später zogen wir in die Parkstraße # 15 in eine "Villa" (so nannte man das damals). Das Haus kaufte unser Vater von einem "Geschäftsfreund" (war er ein Teppichhändler gewesen??) der, wie Viele damals und wir später auch, aus der Sovietischen Besatzungszone abhauen wollte.

Dann kam die Berliner Blockade und wir wurden, die Mutter und fünf Kinder, mit einem Kohlenflugzeug (Dakota) der Engländer nach Hannover geflogen. Von da aus ging es dann nach Braunschweig wo ich zur Schule ging, meine Lehre machte, und dann in 1965 nach Australien auswanderte.

In den frühen 80er Jahren flog ich beruflich noch oft von meinen damaligen Arbeitsplätzen in Saudi-Arabien und Griechenland nach England und machte dann Zwischenaufenthalt in Frankfurt, konnte aber als ehemaliger Flüchtling die damalige DDR nie betreten. Jetzt sind Ost- und Westdeutschland wieder vereint, und ich bin 68 Jahre alt und im Ruhestand und überlege mir ob ich die lange Reise von Australien machen sollte um meine alte Geburtsstadt noch einmal (oder besser gesagt zum ersten Mal) zu sehen.